Hürden für Menschen mit AD(H)S abbauen
Antragstext
Disclaimer am Anfang: AD(H)S meint ADHS und ADS
FLINTA* bedeutet Frauen, Lesben, Inter-, Trans- und Agender-Personen
BiPoC bedeutet Black, Indigenous, and People of Color – Schwarze Menschen, Indigene Menschen und People of Colour 25 26 27 28 29 30 Menschen mit AD(H)S stehen meist ihr Leben lang vor großen Herausforderungen und haben es oft schwer in unserer Gesellschaft. Schon im Kindesalter besteht nicht selten das Gefühl, nicht in Ordnung zu sein, so wie sie sind. Pädagoginnen in KiTa und Schule sowie den Eltern fehlt es fast immer an Wissen und damit verbunden an Verständnis dafür, dass und warum Kinder mit AD(H)S bestimmte Dinge tun und brauchen.
„Streng dich doch mal mehr an“, „Sitz doch jetzt mal still“, „Hör doch malrichtig zu“, sind Sätze, die Betroffenen sehr bekannt vorkommen. Das Problem: AD(H)S ist primär genetisch bedingt. Es kann nicht „abtrainiert“ werden.
Nicht selten werden Eltern sogar beschuldigt, an den Besonderheiten ihres Kindes „Schuld“ zu sein – es würde an der schlechten Erziehung liegen. Das Ergebnis: Betroffene und Angehörige sind bereits in der Kindheit vom Bildungssystem frustriert und fühlen sich isoliert.
Eine AD(H)S-Diagnose ist aber keine Sackgasse: mit guten Behandlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten gelingt es immer häufiger, betroffene Kinder und deren Familien zu unterstützen.
Leider werden nach wie vor männlich gelesene Kinder vier bis acht Mal so häufig mit AD(H)S diagnostiziert, obwohl von einer ähnlich großen Anzahl betroffener FLINTA* ausgegangen wird. Auch BIPoC erhalten seltener eine Diagnose. Viele FLINTA und BIPoC mit AD(H)S werden erst im Erwachsenenalter oder gar nicht diagnostiziert. Das kann dafür sorgen, dass Menschen ein Leben lang unter Folgen und Begleiterkrankungen von AD(H)S leiden, ohne wirksame Hilfe zu erhalten. Diese Folgen sind nicht zu unterschätzen: bis zu 40% der Erwachsenen mit AD(H)S leiden unter Ängsten und Depressionen, bis zu 40% der Suchtpatientinnen haben ein unerkanntes AD(H)S, 5% der Betroffenen verunfallen tödlich oder begehen Suizid. Menschen mit AD(H)S befinden sich öfter in Langzeitarbeitslosigkeit und haben Probleme bei der Selbstorganisation, beim Zeitmanagement,
Finanzmanagement, der Beziehungsgestaltung und vielem mehr.
Es ist offensichtlich: die Situation Betroffener darf so nicht bleiben.
Ihr fragt euch vielleicht: die grüne Jugend hat bereits umfassende Forderungen bezüglich therapeutischer Versorgung und mentaler Gresundheit aufgestellt. Wieso also ein gesonderter Antrag zu AD(H)S? Die hohe Dunkelziffer, die immensen Hürden auf dem Weg zur Diagnose, etwa in Form von Wartezeiten von bis zu 3 Jahren für eine Diagnostik, die bis zu 250€ kosten kann, sowie die immense Benachteiligung von BiPoc und FLINTA im Diagnostikprozess und in der Erkennung zeigen wieder mal auf, in was für einem System sozialer Ungerechtigkeit wir leben.
Um unser Ziel, mehr Gerechtigkeit zu erreichen, spielen die Pädagoginnen in Schule und Kindertagesstätte eine entscheidende Rolle. Auch wenn sie selbst nicht für die Diagnostik zuständig sind, raten Pädagoginnen im Kindesalter vielen Eltern zu einer Diagnostik für das Kind. Leider stellen viele
Pädagoginnen sich nach wie vor ausschließlich das Bild des kleinen Jungen, der viel zappelt und sich nicht konzentrieren kann vor. Dieses Bild ist zwar teilweise korrekt, bildet jedoch nicht die zahlreichen Ausprägungen von AD(H)S und die vielen verschiedenen Lebensrealitäten Betroffener ab. Das und andere Faktoren sorgen dafür, dass betroffene FLINTA nicht diagnostiziert werden – sie entsprechen dem Klischee meist nicht.
Ein Problem vieler erwachsener Betroffener ist, dass sich die Symptomatik im Laufe des Lebens verändert. Probleme in der Alltagsbewältigung rücken in den Vordergrund, Konzentrationschwierigkeiten eher in den Hintergrund. Viele Betroffenen, aber auch vielen Pädagoginnen ist nicht bewusst, welche Probleme AD(H)S im Erwachsenenalter auslösen kann. Seite 2 / 5 77 78 79 Erwachsene mit AD(H)S, die gleichzeitig oft Eltern von Kindern mit AD(H)S sind, könnte mit einem größeren Bildungsangebotder Alltag wesentlich erleichtert werden. 80 81 82 83 Zusätzlich erschwertdie Situation gerade, dass es bundesweitsehr schwierig ist, Psychiaterinnen zu finden, die AD(H)S im Erwachsenenalter diagnostizieren und
behandeln. Im Kontext der oben beschriebenen Komorbiditäten können zu lange Wartezeiten schwerwiegende Auswirkungen für Betroffene haben.
Die Mitgliederversammlung der Grünen Jugend München beschließt deshalb folgende Forderungen zur Unterstützung von Menschen mit AD(H)S: Unsere Forderungen in Bezug auf das Bildungssystem:
Im Bildungssystem wird größtenteils sozial konformes, auch„neurotypische“ genanntes Verhalten erwartet. Gerade dort gibt es daher von klein auf viele Hürden für Menschen mit AD(H)S. Wir fordern in Bezug auf das Bildungssystem bessere und inklusivere Lehre in allen Bildungseinrichtungen:
Alle Pädagoginnen und Psychologinnen sollten für den Umgang mit Menschen mit AD(H)S in allen Altersklassen und mit deren Familien geschult werden. Besonders in der frühkindlichen Bildung und in Grundschulen müssen Pädagoginnen so geschult sein, dass sie Kinder mit AD(H)S verständnisvoll unterstützen und begleiten können. Pädagoginnen sollen über die Situation Erwachsener mit AD(H)S informiert werden, um eine bessere Begleitung von Familien mit mehreren Betroffenen zu ermöglichen.
In allen Bildungseinrichtungen soll eine Beratungsstelle für alle Menschen mit Lernschwierigkeiten etabliert werden, die alle unabhängig von einer Diagnose nutzen können Vorlesungen in Universitäten und Hochschulen sollen aufgenommen werden und im Nachhinein in verschiedenen Geschwindigkeiten abgespielt werden können. Wir fordern dort auch kleinere Bezugsgruppen.
Wir fordern Nachteilsausgleiche und alternative Möglichkeiten des Leistungsnachweises für Menschen mit AD(H)S. Besonders lange
Studienarbeiten sind für Menschen mit AD(H)S oft nur sehr schwer zu bewältigen.
Zum Zweck der Aufklärung soll AD(H)S als Thema auf den Lehrplan in allen weiterführenden Schulen. Wir fordern, dass die Aufklärung durch externe Expertinnen erfolgt. Unsere Forderungen in Bezug auf Diagnostik/Therapie: Wir fordern mehr Kapazitäten für Diagnostik und Behandlung von AD(H)S, besonders im Erwachsenenalter. Gerade im Erwachsenenalter ist die Diagnostik in vielen Praxen nicht kostenfrei, obwohl sie eigentlich von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen wird. Das Problem besteht darin, dass man oft nur dann eine Diagnostik machen kann, wenn man sogenannten individuellen Gesundheitsleistungen, wie einer computergestützte Diagnostik oder ähnlichem zustimmt. Dadurch entstehen für Betroffene teilweise Kosten von mehreren hundert Euro. Wir fordern, dass alle Betroffenen flächendeckend kostenlos diagnostiziert und behandelt werden, ohne individuelle Gesundheitsleistungen zahlen zu müssen. Im Bereich der Diagnostik herrscht ein riesiges Defizit: Bei Studien zu AD(H)S wurden fast nur Männer untersucht, dabei unterscheidet sich die Symptomatik von weißen Cis-Männern von der bei FLINTA oder BIPoC. Dieser care gap ist nicht gerecht! Deswegen benötigt es mehr Aufklärung über AD(H)S, speziell über AD(H)S bei FLINTA, BI*PoC und zugewanderten Menschen, damit auch ihnen eine bessere Diagnostik ermöglich werden kann.
Bei der Behandlung von Menschen mit AD(H)S muss das ganze Umfeld unterstützt werden. Neuere Forschungsergebnisse gehen davon aus, dass fast 80% aller AD(H)S-Fälle erblich bedingt sind. Aus diesem Grund sind sensibilisierende Elterntrainings nötig, die auch auf die Möglichkeit, dass Eltern oder Geschwister ebenfalls von AD(H)S betroffen sein können, hinweisen. Anderen Betroffenen in der Familie muss ebenfalls eine Diagnostik und Behandlung ermöglicht werden. Weiteres:
Menschen mit AD(H)S brauchen Räume zur Vernetzung und um Unterstützungsangebote zu erhalten, wie z.B. AD(H)S-Elterntrainings,
Selbsthilfegruppen oder andere Beratungssettings für Betroffene und Angehörige. Deshalb fordern wir flächendeckend AD(H)S-Beratungsstellen. In diesen Beratungsstellen sollen auch Hilfen für Menschen mit AD(H)S im Umgang mit Bürokratie angeboten werden.
Die Grüne Jugend München setzt sich auch verbandsintern für Menschen mit AD(H)S ein. Bei Veranstaltungen soll zukünftig noch mehr auf die
Bedürfnisse von Menschen mit AD(H)S geachtet werden, insbesondere in Form von ausreichenden Pausenzeiten. Die Awareness-Gruppe erhält ausreichende Bildung zum Umgang mit und zum Verständinis von Betroffenen.
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